Eine Schule mit Geschichte

Im Leben eines erwachsenen Menschen gibt es immer einige Fixpunkte, die unauslöschlich mit ihm verbunden sind und immer ein Teil seines Lebenslaufs. Einer davon ist DIE SCHULE. Jeder verbindet damit Erinnerungen der verschiedensten Art, welche mit zunehmendem Alter immer positiver ausfallen. Doch die Schule ist nur für den Einzelnen ein Fixpunkt, das System Schule an sich ist geprägt von Bewegung, Veränderung und Flexibilität.

Unsere Schule in Tellingstedt gibt ein beredtes Zeugnis davon ab, wie sich Schule stets neu erfindet. Vor der Reformation gab es in Dithmarschen kein geregeltes Schulwesen, begüterte Familien schickten ihre Söhne zu unterrichtenden Priestern, die diese auf ein Studium fernab vorbereiteten.

1532 wird die erste Schule in Heide erwähnt und in der Mitte des 16. Jahrhunderts die ländlichen Schulen in Neuenkirchen und Büsum. 1627 findet dann erstmals Tellingstedt Erwähnung als Schulstandort. Der große zeitliche Unterschied ergibt sich wohl daraus, dass der Wohlstand in der Marsch höher war als auf der vergleichsweise armen Geest.

Der Unterricht wurde von der Kirche bestimmt und in Personalunion vorn Pastor und Küster durchgeführt - sicher in kircheneigenen Räumen. Die Kunde vom ersten Schulgebäude verdanken wir Klaus Groth, der es in seinem Prosawerk „Min Jungsparadies", welches um 1830 spielt, erwähnt. Es handelt sich um das Eckhaus am Markt — heute befindet sich ein Friseursalon darin. Ein Gebäude reichte, da jedes Dorf seine eigene Schule hatte (Österborstel seit 1696 - das Gebäude steht noch im Jungfernstieg -, Westerborstel seit 1773, Hövede und Rederstall seit ca. 1870).

Außerdem waren die Schulen nur im Winter voll belegt, da im Sommer die Kinder im schulfähigen Alter bei der Arbeit auf der eigenen Hofstelle benötigt oder aber an die größeren Höfe als Arbeitskräfte vermietet wurden.

Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts gibt es zwei Schulgebäude im Ort: Die Primarschule am Kirchplatz, heute Hausnummer 28, und die Elementarschule in der Westerborstelstraße, heute Hausnummer 7. In den Gebäuden befanden sich die Wohnungen der beiden Lehrer, welche auch zusätzliche Aufgaben im kirchlichen Bereich zu übernehmen hatten. So bestand wir den Hauptlehrer die Verpflichtung alle Gottesdienste mit den Kindern musikalisch zu begleiten; der Elementar- oder Hilfslehrer spielte die Orgel.

1913 gab es eine durchgreifende Änderung, die Aufteilung in Sommer- und Winterschule wurde abgeschafft, Österborstel als großer Ort gab seine Schule auf, nachdem Westerborstel schon in der Mitte des 19. Jahrhunderts diesen Weg gegangen war. Eine große, neue Schule wurde benötigt. Den Platz hatte man schon, da am Beginn des Jahrhunderts der verlandende Dorfteich aufgefüllt worden war. Die Schule ging in kommunale Verwaltung über und wurde von einem Schulverband der drei Orte, wozu sich bald noch Hövede gesellte, verwaltet. Allerdings behielt die Kirche noch bis in die 50er Jahre des letzten Jahrhunderts einen festen Platz im Verband, welcher vom jeweiligen Hauptpastor eingenommen wurde. Die Schule genügte lange den Bedürfnissen, insbesondere deswegen, da kurz nach der Einweihung die damals größte und modernste Sporthalle Dithmarschens hinzukam. Erst mit der Flüchtlingswelle als Folge des Zweiten Weltkrieges wurden Grenzen gesprengt. Klassengrößen von 60 bis 70 Kindern waren die Regel.

Als zusätzliche Belastung für das bestehende Raumangebot kam die bahnbrechende Gründung des Aufbauzuges 1947 hinzu, dem Vorläufer der Realschule. Der mittlere Bildungsabschluss wurde allen Schüler(innen) nach dem Erwerb des Volksschulabschlusses ermöglicht, der Übergang erfolgte nach der 6. Klasse. Viele Bildungswillige aus dem gesamten Amtsbereich nahmen das Angebot gerne an. Zusätzlich wurde das ehemalige Lager des Reichsarbeitsdienstes im Eichenweg für Unterrichtszwecke genutzt, geturnt wurde im Saal der „Linde“, einem Gasthof, der sich nördlich des Marktplatzes befand. Weit in die 50er Jahre musste dieser kaum aushaltbare Zustand ausgehalten werden, bis im Jahre 1955 der Neubau an der Westseite des Schulhofes bezogen werden konnte, welcher dann den Aufbauzug aufnahm.

Zu Beginn der 70er Jahre erfolgte die landesweite Abkehr von den kleinen Dorfschulen, denen nicht mehr zugetraut wurde, den Bildungsauftrag der modernen Zeit zu erfüllen.

Dörfergemeinschaftsschulen wurden in allen Zentralorten errichtet, so auch in Tellingstedt. Alle Dorfschulen im Amtsbereich wurden geschlossen und die Schüler(innen) mit Bussen nach Tellingstedt transportiert. Eine Ausnahme bildeten die Grundschulen in Dellstedt, Palmen, Wrohm und Schalkholz, von den die beiden letzteren zu Beginn des neuen Jahrhunderts ebenfalls geschlossen wurden. 1972 wurde dann die Neue Schule eingeweiht, der 1976 eine Großsporthalle angeschlossen wurde.

Ruhe kehrte nicht ein. 1976 wurde die ehemalige Hausmeisterwohnung in Klassenräume umgewandelt, 1994 kehrte die seit 1972 nach Pahlen ausgelagerte Förderschule zurück und bezog die Räumlichkeiten des mittlerweile verwaisten Schulleitergebäudes. Und weiter ging es, ein Anbau an Gebäude III an der Westseite des Schulgeländes verbesserte den Standard nochmals.

Langsam schlichen sich im Altbestand bauliche Mängel ein und so traf man im Jahre 2005 die Entscheidung, die ehemaligen Gebäude des Schulleiters, des Hausmeisters und auch die in die Jahre gekommene alte Sporthalle abzureißen und durch moderne Gebäude zu ersetzen. Die Sporthalle verschwand ersatzlos, an ihrer Stelle steht heute ein angemessenes Gebäude für die Hausmeister des Riesenkomplexes incl. zeitgemäßer Toilettenanlagen.

2006 erfolgte die Umwandlung der Grund- und Hauptschule mit Realschulzug in eine Gemeinschaftsschule. Ganztagsunterricht wurde eingeführt, neue Gebäude wurden benötigt. Eine Mensa im Anschluss an das Gebäude von 1972 wurde 2011 eingeweiht, Planungen für einen Ganztagsbereich befinden sich seit 2024 in konkreter Planung.

Die Schule von heute ist mit der vor 300 Jahren nicht mehr zu vergleichen. Die Schulpolitik gab es seit 1717 (urkundlich ist das Kirchspiel Tellingstedt in Zusammenhang mit dem Begriff Schule und der Frage nach geeigneten Schulstandorten in Dithmarschen sogar bereits 1627 erwähnt worden), doch war die Durchsetzung nicht zu gewährleisten, die Kontrolle oblag der Kirche, Ausnahmen wurden jederzeit gestattet. Zwei Lehrer waren von der Dorfschaft angestellt, Auswahl und Aufsicht oblag der Kirche, eine Qualifikation musste nicht vorgewiesen werden, bzw. es reichte, fehlerfrei schreiben und rechnen zu können und sich im Katechisnius auszukennen.

Erst am Beginn des 19. Jahrhunderts (Tondern 1522) musste man den Abschluss einer sogenannten Präparandenanstalt vorweisen, auf der die Grundzüge dieses Berufes gelehrt wurden.

Schulleiter blieb man bis zu seinem Lebensende, deswegen wurden die Bewerber auch genaustens unter die Lupe genommen.

So stand im Jahre 1841 wieder eine Wahl an zu der einige Bewerbe antraten. Darunter war ein Klaus Groth aus Heide. Dieser rechnete sich gute Chancen aus, da er familiäre Beziehungen nach Tellingstedt hatte und durch häufige Besuche gut bekannt war. Gewählt wurde Hans Peter Hansen, der dann auch 33 Jahre erfolgreich tätig war. Klaus Groth soll derart böse und verärgert gewesen sein, dass er nie wieder Tellingstedt aufgesucht haben soll. So ist womöglich eine große Dichterkarriere an Tellingstedt vorbeigegangen. Als die Wahl anstand war Groth 22 Jahre alt, sein Selbstbewusstsein übertraf wohl die Fähigkeiten.

70 bis 80 Kinder des Dorfes unterlagen der sechsjährigen Schulpflicht und die Arbeit des Lehrers bestand darin, den Unterricht zu organisieren, auch Tätigkeiten im Haus und Garten des Lehrers gehörten dazu. Fertigkeiten wurden im Lesen, Schreiben und Rechnen erworben. Eine immens wichtige Rolle nahm der religiöse Unterricht ein. Sportunterricht war unbekannt. Erst mit dem Bau der großen Schule 1913 kam es zu Veränderungen. Das Kollegium vergrößerte sich, das Klassensystem wurde eingeführt. Nachdem mit fünf Lehrern und [sic] einer Lehrerin begonnen wurde, bei Klassengrößen von über 40 Kindern, waren es in den 20er Jahren sieben Lehrerinnen. Fachunterricht wurde eingeführt, allerdings noch ohne Fachlehrer, jede Lehrkraft unterrichtete alles. Die Anzahl der Lehrkräfte änderte sich bis 1972 nur geringfügig, bedingt auch durch die Einrichtung des Aufbauzuges im Jahre 1947, allerdings wurde in der 30er Jahren in geringem Umfang das Fachlehrerprinzip eingeführt. 1971 waren es zwölf Lehrerinnen, der Zusammenschluss der Schulen des Amtsbereichs ließ diese Zahl dann explodieren auf über 30 Stellen. Derzeit sind es 44 Planstellen, die Durchführenden des Ganztagsangebots sind nicht mit eingerechnet.

Deutlich zu erkennen ist, Schule ist ein Prozess, der sich ständig weiterentwickelt. Ein Ende ist nicht abzusehen und wird es wohl nie geben. Jeder Jahrgang verbindet Erinnerungen mit seinem Schulleben, jeder Jahrgang hat unterschiedliche Erinnerungen.

(Autor Ulf Meislahn, Lehrer in Tellingstedt von 1974-2008)